Moto Guzzi Mille GT

Klassiker im Tourergewand

Um dem alten Mythos vom "Betonmischermotor" endgültig den Garaus
zu machen, erstmal ein kurzer Blick in die Historie:

Nachdem Moto Guzzi lange recht erfolgreich Einzylinder gebaut und verkauft
hatte, wollten die italienischen Behörden (einer der Hauptabnehmer der
damaligen Maschinen) eine modernere, schnellere und vor allem anspruchs-
lose Maschine haben. Der Anforderungskatalog stellte hohe Ansprüche:
Die Motorräder mussten wartungsfreundlich und gut zugänglich sein, alle
anfallenden Wartungsarbeiten sollten auch von ungeübten Mechanikern in
kurzer Zeit zu erledigen sein, der Motor musste mindestens 100 000 km halten,
ohne das nennenswerte Bauteile auszutauschen waren, weiterhin musste
die Elektrik dem Stromverbrauch der typischen Behördenausstattung
mit Funkgerät und Blaulicht gewachsen sein. Man munkelt, dass die Mannen
von Moto Guzzi sich das damalige "Referenzmotorrad", eine BMW R69S
sehr genau unter die Lupe nahmen und sich daran orientierten. Jedenfalls
bekam Moto Guzzi nach zahlreichen Tests den Zuschlag für den Bau der neuen
Behördenmaschine und nannte sie "V7". Auf dieser Konstruktion fußen alle
großen V2 bis hin zu den aktuellen Vierventilern.

Die Mille GT war ein "Geschenk" der Guzzi- Mannen an ihre Kundschaft,
die Wert auf eine klassische Erscheinung legte. Gebaut von 1987 bis
1994, finden sich in der Mille GT dank Baukastensystem zahlreiche
alte Bekannte wieder - die meisten Bauteile entstammen der 1000 SP2,
angereichert mit polierten Teilen, schönen Alufelgen und VA- Speichen,
viel Chrom und einer feinen Lackierung nebst Handlinierung (!).
Trotz der engen Verwandschaft mit anderen Guzzi's hat die Mille dennoch
ihr eigenes Erscheinungsbild, das die Herzen aller Klassikerfans höher
schlagen lässt.

Gekauft habe ich sie 1996 mit einem Kilometerstand von 38 000, mittlerweile
hat sie über 70 000 km auf der Uhr. Der Auslöser für den Kauf war letzten Endes
das Desaster mit meiner damaligen Suzuki Katana 550: Nachdem das Teil
mich viel Ärger, noch mehr Geld und ungezählte Nerven gekostet hatte, beschloss
ich mir eine Italienerin zu zu legen, da diese wohl kaum NOCH unzuverlässiger
als mein "Reiskocher" sein konnte... Außerdem hat mich der Klang des großen
V2 immer schon fasziniert. Nachdem ich mich erstmal umgesehen hatte, welche
Modelle Moto Guzzi überhaupt im Programm hatte, kamen nur die 1000S und
die Mille GT in Frage - die Le Mans war mir zu sportlich und die California
zu sehr "Chopper- Like". Da die 1000S damals schon ein rares Stück war
(wenngleich wenig geschätzt, als "Naked Bike" kam sie etwas zu früh auf
den Markt), blieb nur noch die Mille GT übrig.

Fragt sich nur, was die Faszination einer Guzzi ausmacht - Nüchtern betrachtet
wären da der angejahrte Stößelstangen- V2 mit seinen Vibrationen, der nicht
mehr aktuellen Leistungskurve und der ruppigen Laufkultur ebenso zu nennen
wie der extrem lange Radstand, eine mäßige Qualität von Lack und Chrom
sowie das dünne Händlernetz.
Aus der Sicht des Enthusiasten sieht das natürlich etwas anders aus, aber auch
ohne die rosarote Italienbrille auf der Nase hat die Guzzi einiges zu bieten:
Dem schon erwähnten ruppigen Motor stehen dessen ausgesprochene Nehmer-
qualitäten (sofern nicht Dauervollgas auf der Autobahn gefahren wird), die sehr
gute Zugänglichkeit der Technik, die ausgezeichnete Tourentauglichkeit und
natürlich der Sound zur Seite. Die Technik ist angenehm robust und auch ohne
eine Ausbildung als Zweiradmechaniker in den Griff zu bekommen. Ersatzteile
lassen sich meistens problemlos z. B. bei Stein-Dinse bestellen, das Bau-
kastenprinzip begünstigt natürlich auch die Verfügbarkeit derselben. Die große
Fangemeinde und die Technik zum Anfassen haben eine reiche Zubehörszene
geschaffen und zahlreiche Spezialisten kümmern sich um den Erhalt und die
Verbesserung der Maschinen.

Meine Mille GT ist nahezu serienmäßig, die Kontaktzündung wurde relativ früh
gegen eine kontaktlose Anlage von HT-Moto ersetzt, ein paar Edelstahlschrauben
finden sich vor allem an korrosionsgefährdeten Ecken, ansonsten wäre höchstens
noch der Hepco & Becker Kofferträger zu nennen. Bei 50 000 km hatte ich den
bisher einzigen größeren Defekt - das Kreuzgelenk der Kardanwelle brach durch,
sie brachte mich aber trotzdem noch bis vor meine Haustür. Den Austausch habe
ich selbst vorgenommen, aber die Gelegenheit beim Schopf gepackt und bei
HT-Moto den Achsantrieb neu lagern lassen. Die Gaszüge und vor allem der
Kupplungszug verlangen nach regelmäßiger Schmierung, die alle 7500 km
anstehende Inspektion sollte man mit ein wenig Sorgfalt durchführen und das
Mopped will auch optisch gepflegt werden - die Guzzi dankt es einem mit
unbedingter Zuverlässigkeit. Hoffen wir mal, dass das so bleibt...

Nach 77000 Kilometern ist nun doch eine größere Überholung fällig:
Das Fahrwerk hat nach langen Jahren treuer Dienste doch merklich
nach gelassen, also wird in einer Rundumschlag- Aktion das Lenkkopflager
erneuert, die müden Gabelfedern gegen Progressive getauscht, die
Gabeldämpfer ersetzt, die Hinterradschwinge neu justiert und die hinteren
Stoßdämpfer gewechselt. Dazu gönne ich der Bremse einen Satz Stahlflex-
Leitungen, da die Gummiteile nach nunmehr 16 Jahren auch nicht mehr
ganz frisch waren. Damit sollte an dieser Stelle für einige Zeit wieder Ruhe
einkehren.

Nachdem im letzten Urlaub die eigentlich überholte Gabel erheblichen
Ärger verursacht hatte, habe ich nach einigem Ausprobieren und weiteren
Ersatzteilen das Problem zwar in den Griff bekommen, aber irgendwie
auch die Lust verloren. Deshalb wird die treue Mille GT schnöde gegen
eine neuere Guzzi eingetauscht... Hoffentlich finde ich einen neuen
Besitzer für sie, der das italienische Eisen auch zu würdigen weiß.

Tscha, das war's: Die schöne Mille GT ist verkauft (*Schnief*) und wird
es unter dem neuen Besitzer hoffentlich ebenso gut haben wie bei mir...
Mögen ihr noch viele Jahre und Kilometer vergönnt sein!

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Letztes Update: 02.08.2013